Rastullahs Fluch

Wie durch ein Wunder glückte uns die Flucht aus dem Räuberlager. Einige Dinge mußten wir hinter uns lassen, aber wir waren unseren Peinigern mit Leib und Leben entkommen - wir alle, bis auf unseren armen Kutscher. Der tapfere Mann, der allein mit einer Fremden zusammen unsere Flucht erst ermöglicht hatte.

Als wir das erste Mal wagten, Rast einzulegen - immer noch gehetzt auf jedes Geräusch in der Ferne achtend - wandte ich mich ihm endlich zu. Ein Pfeil stakte unnatürlich aus seiner schlaffen puppenhaften Gestalt. Er atmete noch schwach, doch seine Haut war schon ganz bleich vom Schatten des Todes. Mir jedoch war noch ein wenig meiner mystischen Kraft geblieben, deswegen zögerte ich keine Sekunde. Mir war klar, was zu tun war.

Doch wie grausam sollte sich das Schicksal wenden. Als ich den Heilzauber wab, spürte ich bereits einen seltsamen Kälteschauer auf der Haut. Meine Nackenhaare stellten sich auf und mir war, als wären meine Finger plötzlich wie aus Eis. Es war ein Zeichen, doch ich Unwürdiger stieß es als simple Aufregung zurück! Erst als ich meine letzten Kräfte bereits wie einen reißenden Strom in die Matrix fließen lies, spürte ich, dass etwas ganz und gar falsch war.

Statt heilende Wärme zu versprühen, wurden meine Hände nur noch kälter. Der Kutscher unter meinen Händen begann ekstatisch zu zucken. Ein stiller Schrei entrann seinem aufgerissenen Mund, dann würgte er weißen Schaum. Meine Arme pulsierten. Ich hatte das widerwärtige Gefühl, dass etwas durch meine Adern in mein Innerstes hineinkroch. Ich wollte selbst schreien! Ich wollte loslassen, aber meine Hände waren in den Rücken des Kutschers gekrallt! Ich spürte wie sein Leben durch meine Adern floss, wie der Rest seiner Existenz ihm Naht für Naht entrissen wurde, von meinen gierigen Krallen aufgesogen.

Sein wildes Zucken steigerte sich ihn in einem letzten Stakkato. Mit übermenschlicher Kraft wand er den Kopf, nur um mir ein letztes Mal mit grausam verzerrter Fratze in die Augen zu blicken. Nie mehr werde ich diese Augen vergessen können! Augen, die mich in schreiender Agonie anblickten, entsetzt, ungläubig! Dann brach er mit einem Ruck zusammen und ich wurde hart auf den Rücken geschleudert. Es war als hätte ein unsichtbarer Dämon den eisernen Griff meiner Hände endlich gelöst. Sie waren nun widerlich warm und krafterfüllt. Ich fühlte mich, als könnte ich Bäume ausreißen - und gleichzeitig hatte ich den Drang, mich zu erbrechen, bis mein Inneres sich nach Außen kehren möge.

Meine ahnungslosen Gefährten kamen auf mich zu gelaufen und sahen sofort, dass hier etwas grauenvoll mißlungen ward. Wie mechanisch sprach ich zu ihnen. Der wache Teil von mir jedoch beobachtete die Szene mit apathischen Grauen. Ich habe wenig Erinnerung an den Rest. Ich muss wohl in der Nacht auf mein treues Pferd gestiegen sein. Dunkel erinnere ich mich an das sorgenvolle Gesicht von Cem. Aber vielleicht war es auch eine Illusion meines vernebelten Geistes, für den Cem immer die manifestierte unschuldige Freude gewesen war. Etwas bewundernswertes... und für mich lang verloren.

Tage und Nächte wechseln sich seitdem. Szenenhaft. Wie zusammengesetzt. Ich weiß nicht mehr, ob ich schlafe und träume, oder ob es Wirklichkeit ist. Einmal sah ich mich Wasser trinken an einem Fluß, doch im Wasser spiegelte sich jemand anders. Ein andermal saß ich an einem Feuer, neben mir ein improvisierter Speer und in meinen Händen das geröstete Fleisch eines Hasen. Dann wieder reite ich gen Norden. Ich blinzle einen Moment, und es ist Nacht und ich bin Tage vom Weg abgekommen.

Für mich gibt es nur noch ein Ziel... ich kann nicht in meine Akademie zurück, noch kann ich irgendeinem Magier je mehr vertrauen. Man würde mich wie ein Tier untersuchen, würde herausfinden wollen, wie das funktionierte, was mit mir geschah. Dann würde man mich für das Verbrechen, was ich beging einsperren... oder schlimmer noch: meine Zauberkraft ausbrennen. Auch kann ich nicht in das heilige Land zurück. Kein Mawdhli würde auch nur meinen Anblick dulden. Man würde mich mit RAStullahs Segen steinigen. Dass ER mich noch nicht selbst vernichtet hat, überschreitet meinen Verstand. Ich fürchte SEInen brennenden Blick... daher verberge ich mich in Schande bei Tag, und wage mich nur voran in Madas gnädigen Glanz.

Nein... die einzige die mir noch helfen kann, der letzte Mensch auf der Welt der mich vielleicht noch annimmt, das ist meine geliebte Gudlinda. Wenn auch sie mich verstößt, werde ich mir mit Freuden das Leben nehmen. Denn dann gibt es keine Hoffnung mehr.

Aber jetzt muss ich meine Gedanken beisammen halten. Ich kämpfe darum, lange genug bei Verstand zu bleiben, um noch die letzten Meilen zu ihr zu finden. Die Zeiten, in denen ich träume werden immer länger. Dann sehe ich mich jagen, fischen, am Lagerfeuer... aber ich schaue nur zu, während mein Traumbild ein Leben führt, dass ich nicht kenne.

Reiten, immer weiter.... die Straße entlang...

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